Sie sind hier

Fibromyalgie – der Kampf gegen den Schmerz

„Alles tut mir weh, keiner weiß weshalb, und niemand nimmt mich ernst“

Immer tut es weh: Ob sie geht, steht oder liegt – die Schmerzen bleiben. Müde und niedergeschlagen ist die 43-jährige Helga B. aus Berlin, sie leidet an Schlafstörungen. Antriebskraft und Motivation fehlen, den Job hat sie schon vor Monaten verloren. Jetzt fällt es ihr immer schwerer, die siebenjährige Tochter zu versorgen. Helga B. leidet an Fibromyalgie – eine Krankheit, die Menschen das Leben zur Hölle Machen kann.

Bis zu zwei Prozent der Bundesbürger leiden an Fibromyalgie. Vor allem Frauen sind betroffen von dieser Erkrankung. Erst 1990 wurde Fibromyalgie als eigenes Krankheitsbild beschrieben und anerkannt. Die individuellen Ursachen sind meist schwer festzustellen.

Auch bei Helga B. war es so. „Alles tut mir weh, keiner weiß weshalb, und niemand nimmt mich ernst“, beklagte sich die junge Frau. Eine wahre Odyssee hat sie hinter sich gebracht:  60 Ärzte und drei Neurologen suchte die 43-Jährige in den vergangenen Jahren auf. Ein Bandscheibenschaden sei die Ursache, hieß es unter anderem. Starke Schmerzmittel wurden verordnet. Doch ihr Zustand besserte sich nicht. Die Schmerzen blieben. Immer tat es weh – anfangs nur in den Beinen, später sind auch die Arme betroffen. Dann verspürte sie diffuse Schmerzen am ganzen Körper. Nachts stand die Berlinerin manchmal auf, duschte die Beine kalt ab und cremte sie ein: Das brachte Linderung – vorübergehend. Schließlich stürzte Helga B. in einen psychischen Abgrund – sie verzweifelte: „Ich wusste nicht mehr, wie es weitergehen sollte.“

Wie im Fall Helga B. stehen viele Ärzte bei der Behandlung von Fibromyalgie vor großen Problemen. Die Ursachen der Krankheit gelten bislang als ungeklärt. Eine genetische Veranlagung wird vermutet, da das Syndrom häufig in einzelnen Familien vorkommt. Studien zu diesem Thema seien in Vorbreitung, heißt es seitens der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung (DFV). Sie nennt auch eine gestörte Schmerzverarbeitung und veränderte Schmerzwahrnehmung, hormonelle Störungen, eine Störung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse sowie des Wachstumshormon-Systems, Veränderungen des dopaminergen sowie des Serotoninsystems, psychische Faktoren sowie psychosozialen Stress und eventuell Veränderungen im Immunsystem als mögliche Ursachen. In einigen Fällen tritt Fibromyalgie nach entzündlich-rheumatischen Krankheiten, Autoimmunerkrankungen und viralen Infekten auf. Auch bösartige Tumorerkrankungen, neurologische Krankheiten wie beispielsweise Morbus Parkinson und Unfälle können Auslöser sein. Dann wird vom sekundären Fibromyalgie-Syndrom gesprochen.

Helga B. hat mittlerweile selber eine ganze Menge über ihre Krankheit. Sie weiß, was „Tender points“ sind: Empfindliche Stellen in Muskeln und Sehnenansätzen, die mit einem Umfang von etwa einem Zentimeter über den ganzen Körper verteilt liegen. Bereits bei leichtem Druck auf diese Schmerzpunkte kommt es zu starken, teils dumpfen, teils brennenden Schmerzen. Der Schmerz kann vom Tender point aus in andere Körperbereiche ausstrahlen. Die Schmerzen können sowohl tagsüber als auch nachts auftreten und halten über lange Zeit an. Helga B. weiß, dass neben den Schmerzen auch äußerst unangenehme Begleitsymptome auftreten können: Müdigkeit, Kopfschmerzen, Schlafstörungen, morgendliche Steifheit von Gelenken und Sehnen, Schwellungen an den Händen und Füßen oder im Gesicht. Weitere häufige Beschwerden sind Konzentrations- und Antriebsschwäche, depressive Verstimmungen, Übelkeit sowie Wetterfühligkeit. Fibromyalgie hat viele Gesichter.

Gerade das Krankheitsbild Fibromyalgie erfordert eine äußerst einfühlsame Anamnese seitens des Arztes – oft lassen sich unterschiedlichste Komponenten als Auslöser feststellen. Nur in eingehendem Gespräch mit dem Patienten können die Ursachen dieses Leidens erforscht werden – auch psychische Störungen spielen häufig eine wichtige Rolle. Eine besondere Herausforderung für den behandelnden Arzt ist Fibromyalgie auch angesichts der Tatsache, dass nur durch schnelle Bearbeitung eine Chronifizierung mit allen schwerwiegenden Folgen (zum Beispiel Erwerbslosigkeit) verhindert werden kann. Eine Akutmedikation kann die Heilungszeit verkürzen. Geduld, Einfühlungsvermögen und eine gute Portion Intuition sind für die Behandlung dieser Krankheit nötig.

Helga B. hatte schließlich Glück. Sie fand einen Arzt, der ihr lange zuhörte und intensiv nach den Ursachen ihrer Erkrankung forschte. In einem langen Gespräch stellte sich heraus, dass die Berlinerin bereits seit dem 21. Lebensjahr unter Schlafstörungen litt. Bei ihrer Mutter und fast allen Verwandten mütterlicherseits waren die gleichen Symptome festgestellt worden: Schmerzen und Schlafstörungen. Der Eisenspiegel lag bei ihr wie bei den betroffenen Verwandten niedrig. Ansonsten ließ sich bei der eingehenden Untersuchung weder neurologisch noch allgemeinmedizinisch irgendeine Auffälligkeit feststellen. Die Diagnose war schließlich eindeutig: Langjähriges RLS (Restless Legs Syndrom) mit Ausbreitung an den Armen und RLS-Verschlechterung durch die Eisenmangelanämie. Durch die langjährigen Schlafstörungen und die daraus resultierende zunehmend schwere Erschöpfung entwickelte sich bei der Patientin  das Fibromyalgie Syndrom („Der Akku ist leer,  die Muskelzellen sind ausgepowert.“) Der langjährige Krankheitsverlauf führte zu einer Depression mit Hoffnungslosigkeit.

Bei Helga B. wurden weitere Diagnostik und Therapie eingeleitet. Die Hoffnung auf eine mindestens 60 Prozentige Beschwerdelinderung  innerhalb von sechs Wochen ist nach Aussage des behandelnden Arztes realistisch: „Durch die intensivierte Beratung mit der Aufklärung über die Zusammenhänge und der  Krankheitsentwicklung bin ich optimistisch, dass gerade bei diesem Fall eine ausreichende Verbesserung der Lebensqualität erzielt werden kann. Die restlichen 40 Prozent der Beschwerden sind von der Fibromylagie und der Begleitdepression abhängig.“ Helga B. ist heute zuversichtlich, glaubt fest an eine bessere Zukunft. Dann möchte die freundliche und aufgeschlossene junge Frau auch gern wieder arbeiten gehen, um ihre finanziell angespannte Situation zu verbessern: „Und ich möchte endlich wieder das Leben genießen.

Was zur Therapie gehört

Ausführliches Aufklärungsgespräch über Fibromyalgie unter Berücksichtigung seelisch-körperlicher Zusammenhänge, ggf. Einbeziehung der Angehörigen, um das Kranheitsverständnis zu fördern

Adäquate Schmerzbekämpfung unter Berücksichtigung der Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten, Ausreichende Schlafstabilisierunng, Antidepressive Unterstützung sowohl psychotherapeutisch als auch medikamentös. Antidepressiva werden häufig bei der Schmerzbekämpfung eingesetzt – mit bewiesener Wirkung Dauerhaftte medizinische Begleitung der Schmerzbetroffenen mit ständiger Anpassung der Medikation und entsprechender Aufklärung Psychotherapeutische Behandlungen mit Massagen und Krankengymnastik. Sehr empfehlenswert: physiotherapeutische Dehnungsübungen

 

Mögliche Ursachen von Fibromyalgie

  • Depressionen
  • Persönlichkeitsstörungen
  • Posttraumatische Belastungen wie Missbrauch in der Kindheit oder Kriegsverbrechen
  • Schlafstörungen wie z.B. bei Depressionen, Angstneurosen, Restless legs Syndrom, Apnoe Syndrom (Atemaussetzer)
  • Schmerzen (z.B. Wirbelsäule, Gelenke, Rheuma, Muskelentzündungen, nach Borreliose (Zeckenbiss)
  • Körperverletzungen wie z.B. Schleudertrauma, Verbrennungen
  • Störung der Säure Base Haushalt wie z.B. Ernährungsproblematik, auch duch Tabak, Alkohol
  • Unbekannt auch als primär (ohne vorausgegangene Körper- / Seelenerkrankung)

 

Wissenswertes über Schmerz

Das Wort Schmerz taucht in der deutschen Sprache zunächst als weibliche Form „smerza“ auf, erst später wird im Althochdeutschen die männliche Form smerzo verwendet. Bezeichnet wurde damit der seelische Schmerz, fürs Körperliche galt das Wort Pein (ursprünglich: pin, lateinisch poena = Sühne, Strafe, Rache). Die medizinischen Fachausdrücke lauten Dolor (lat.) und Algesie (Gegenwort: die Analgesie), in Wortverbindungen die -algie, die -algesie (alles von griechisch άλγος, algos „Schmerz“) oder die -odynie (von griechisch οδύνη „Schmerz“).  Die Sinneswahrnehmung des Schmerzes wird auch als Nozizeption bezeichnet.

Machen Schmerzmittel abhängig?

Generell können Morphine zu seelischer oder körperlicher Abhängigkeit führen.  Gerade bei längerem Gebrauch kann zudem die Wirkung einzelner Medikamente nachlassen, so dass gegebenenfalls höhere Arzneimengen angewendet werden müssen. Bei korrekter Anwendung unter ärztlicher Überwachung ist die Gefahr einer Abhängigkeit von starken Schmerzmitteln. Ihr Arzt wird deshalb in regelmäßigen Abständen prüfen, ob die weitere Einnahme des Arzneimittels erforderlich ist bzw. ob die Dosis verändert werden muss. Bei der Behandlung chronischer Schmerzen sollten Sie das Schmerzmittel nicht nach Bedarf, sondern regelmäßig zu festen Tageszeiten einnehmen (Einnahme nach der Uhr).

Alter spielt keine Rolle
Fibromyalgie, eine schwere, nicht-entzündliche chronische Erkrankung in der Muskulatur und in den Ansätzen der Sehnen, kann in jedem Lebensalter auftreten, sowohl bei Kindern als auch bei Senioren.

Margit Settan von der Deutschen Fibromyalgie-Vereinigung rät Patienten, sich regelmäßig mit anderen Betroffenen auszutauschen. „Wir haben Schmerzen, aber es sieht uns keiner an. In einer Gruppe bekommt man viele Informationen.“ Und man werde akzeptiert, ohne viel erklären zu müssen. Das Internet erleichtert den Austausch.

Web-Tipps:

Deutsche Fibromyalgie-Vereinigung: www.fibromyalgie-fms.de

Fibromyalgie-Liga Deutschland e. V.: www.fibromyalgie-liga.de

Diskussion und Informationen: www.fibromyalgie-forum.de

Fibromyalgie Patientenhilfe Deutschland: www.fibromyalgie.com

Information und forum: www.fibromyalgie-nrw.de

www.rheumafrei-leben.de

 

Spezialisierte Kliniken/Ärzte

www.rls-zenrum.de

www.krankenhaus-st-josef-wupperal.de

www.schoen-kliniken.de

www.rkbs.de (Rheuma Klinik Bad Sickingen)

www.rheumazentrum-heidelberg.de

www.rheumaklinik-bw.de

 

Mehr zum Thema Kopfschmerzen:

http://mitunsgesund.info/2016/07/mini-implantat-blockiert-schmerzattacke/

Interview mit dem Neurologen und Schmerztherapeuthen Safi Hazzan

Dehnen: nicht nur für die Wirbelsäule

Interview mit Dr. Börner: Chronischer Schmerz

Related posts

Hinterlassen Sie ein Kommentar

Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu, um mit Hilfe analytischer Daten unsere Webseite zu optimieren. Weitere Informationen

Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen. Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen