Hintergründe kritisch zu hinterfragen, warum manche von der Demokratie profitierende Menschen ideologisch nationalistisch-orientierte und autokratisch-führende Persönlichkeiten wählen, hilft vor Wahlirrtümern, sich selbst oder den Nächsten vor Schäden zu bewahren. Wie kommt es dazu, dass narzisstische, egoistische und weniger tolerant eingestellte Persönlichkeiten Fuß fassen oder sogar die breite Maße begeistern können? Wie schaffen es protektionistische, nationalfixierte und populistisch untermauerte Ideologien mit ihren Autokraten die Einstellungen von (vielen) Menschen dermaßen zu verändern, dass diese ihre menschenzentriete, beziehungsorientierte und weltoffene Grundhaltung- auch wenn nur passager oder interkurrent- zu verdrängen, um sich den neuen für sie ansonsten nicht akzeptablen Einstellungen anzupassen?
Das Ressentiment mit den Gefühlbestandteilen Wut, Zorn und Groll ist bereits seit Menschengedenken ein bekanntes und etabliertes Gefühlserleben, was auch massenpsychologisch von machtstrebenden Persönlichkeiten als ein hoch wirksames Instrumentarium benutzt wird. Hier werden von bestimmten Führertypen Wut und Zorn der Bürger über die von Ihnen wahrgenommenen Missetaten, Ungerechtigkeiten und sozialer Diskreditierung massiv ausgenutzt, verfeinert und modelliert. Manche Menschen fühlen sich dann im absoluten „Recht“. Sie fühlen sich in dieser Hinsicht mit der demagogisch herrschenden Gruppenmeinung in Kongruenz.Sie können sich sogar damit identifizieren.
Ressentiment ist hier nicht das neutralen Nach-fühlen im zeitlichen Sinn zu verstehen, sondern das eher einprägsamere negativ behaftete Dauergefühl. Nach Montaigne beschreibt dieser Begriff, den eines unterlegenen aber nicht getöteten Kämpfers, dem dieses Gefühl vom Überlegenen (Gewinner) beigebracht wird. Dieses Gefühl wird der Unterlegene Zeit seines Lebens in sich tragen. Max Scheler sieht den Charakter des Ressentiments, der durch zurückgedrängte Entladungen gewisser Gemütsbewegungen und Affekte entsteht, als menschengeschichtlich evolutionär.
Dass das Ressentiment als Instrument der Unterdrückung für eine fremdbestimmte Gesellschaft benutzt wird, ist schon die Feigheit. Die Feigheit ist Montaigne zufolge die Mutter der Grausamkeit. Diese Feigheit bei Angst vor dem Gegner zwingt den autokratisch Herrschenden zum Töten, Gegenmeinungen im Kein ersticken zu lassen und Gefängnisse zu füllen. Nietzsche zufolge korrumpiert das Ressentiment die allgemeinen Wertschätzungen. Max Scheler sieht in moralphilosophischem Sinne in Ressentiment den Grund für Entwertung des vermeintlichen Verursachers, so dass aus Ohnmacht Rache entsteht.
Bürger, die sich auf welchen Gründen auch immer benachteiligt fühlen und trotz Demokratiegesellschaften ihre Gemütsbewegungen nicht verbalisieren, reflektieren oder für ihre Bedürfnisse vehement auftreten können, um zu einer lösungsorientierten gesellschaftlich-thematischen Auseinandersetzung zu kommen, sind prädisponiert ihre ursprünglich humanistischen Einstelllungen zu wechseln. Diese Menschen sind anfälliger ihre ursprüngliche menschenzentrierte Haltung aufzugeben.
Unabhängig davon, besitzt keiner den Wahrheitsmonopol. Konstruktivistisch gesehen müssen alle unsere Wahrnehmungen und Betrachtungen der Dinge auf ihre Wahrhaftigkeit hinterfragt werden. Tolerante Möglichkeiten der Gestaltung unserer Lebenswirklichkeit sollten nie aus den Augen verloren werden.
Nur so können wir Ungerechtigkeiten aufspüren und diese in Koexistenz solidarisch beheben, um moralphilosophisch die Ohnmacht mit einer Detraktion (Entwertung) tendenziell zu neutralisieren, um Nietzsches „Wille zur Gleichheit“ lebendig zu halten.
Unsere Aufgabe ist eine offene diskursive Auseinandersetzung mit unseren Gefühlen für eine gewaltfreie Kommunikation. Eine tolerante Einstellung als Lebensaufgabe ist eine menschenwürdige Lebensweise für alle. Die Menschenwürde ist keine Floskel, sondern eine primär existenzielle Frage, die uns alle betrifft.
Eine Herabwürdigung des Nächsten ist eine Zerstörung des Selbstwertgefühls mit Verstärkung von Angst und sonstigen Erkrankungen. Ein tolerantes Verhalten ist nicht nur für die Medizin sondern auch in der Medizin therapeutisch unabdingbar.
Die Aufhellung unseres Bewusstseins für gesellschaftliche Prozesse bleibt eine eminente auch medizinische Aufgabe, um autonomieberaubenden intoleranten Ideologien oder Autokratien den Boden unter den Füßen wegzunehmen. So werden nicht nur die negativen individuellen Auswirkungen verhindert, sondern auch die Krankheiten einer gesamten Gesellschaft präventiv angegangen.