An einem wunderschönen, sonnigen Samstag im Februar bei zehn Grad Außentemperatur und leicht kühlem Wind machte ich meinen Spaziergang durch meine Heimatstadt. Immer wieder bewundere ich das Schöne am Bergischen Land, die reine Luft und die Idylle. Ich habe den entspannten frühen Samstagnachmittag genießen dürfen. Auf dem Rückweg traf mich eine Bekannte, die mich herzlich und freundlich grüßte. Wir plauderten und wie kommunikativ üblich ist, uns interessiert nach unseren Befinden fragten. Im Laufe der Unterhaltung vertraute sie mir, dass sie sich selbst nach einem „ärztlichen Kunstfehler mit einer falscher Operation“ durch Aloe Vera heilen konnte. Auch gegen Krebs soll das ihrer Meinung nach helfen. Mit Aloe Vera versucht sie bereits seit Jahren ein Standbein zu etablieren. Mit Geschäftssinn bot sie ein weiteres vertiefendes Gespräch an, um mir die Vorteile dieser „Naturheilprodukte“ für Leib und Seele aufzuzeigen, zumal auch einen finanziellen Anreiz geben würde.
Ich lobte ihr Engagement und hob ihren Fleiß hervor, erwiderte aber klar und deutlich, dass eine kommerzielle Produktvermittlung in der Medizin ethisch und moralisch nicht vertretbar ist.
Sie fuhr weiter fort und erzählte, wie positiv diese „Therapie“ ihr Leben verändert hat. Sie sei ein absoluter Gegner von Chemie. Sie sei strikt dagegen, dass zum Beispiel Kinder mit Ritalin behandelt werden müssen. Das alles würde Kindern nur schaden. Nach der Frage, woher sie diesbezüglich die Gewissheit hat, antwortete sie prompt: „Ich habe vier Kinder groß gezogen“.
Ich hab große Achtung vor Frauen, die sich oft auch als Alleinerzieher mit ihren Kindern durchboxen müssen. Es ist eine unbeschreiblich große Leistung. Sie erziehen ihre Kinder leidenschaftlich groß und gehen trotzdem ihrem Beruf nach. Es bleibt bemerkenswert, wie Mütter diese Erziehung meistern und gegen die Krankheiten ihrer Kinder energisch, unermüdlich und Weise vorgehen.
Desto trotz basiert Medizin nicht auf einzelne – auch wenn nützliche – Erfahrungen. Medizin ist ein Erfahrungsfach, der an Hand von Evidenz funktioniert. Die Medizin nutzt die Entwicklungen der Naturwissenschaften für sich. Diese großen Errungenschaften bieten die Grundlagen für die diagnostischen und therapeutischen Anwendungen. Die Medizin profitiert sehr von den Fortschritten der Chemie, Physik und Technik etc. Die moderne Medizin baut auf diese Wissenschaften, zieht die Vorteile daraus und prüft die Anwendbarkeit, Nützlichkeit und eventuelle Risiken für Menschen. Dadurch kann die Medizin ihr Handeln bestimmen.
Ungeachtet der unabdingbaren Wissenschaftlichkeit und der stetigen Überprüfbarkeit bleibt das ärztliche Handeln erfahrungsbasiert. Die Erfahrenheit ist hier im Kollektiv zu verstehen. Das bedeutet eine Übereinstimmung (im Konsens) über Handlungsmethoden mit der Notwendigkeit diese der Prüfungsmöglichkeit zu stellen. Die Leitlinien in der Medizin dokumentieren beides – die wissenschaftlich fundierten als auch die erfahrungsbasierten Daten.
In diesen Leitlinien werden auch Naturpräparate, Naturprodukte und nicht nur schulmedizinische Behandlungsmethoden je nach Wirksamkeit und Nebenwirkungen empfohlen. Schon prähistorische, hippokratische und mittelalterliche Ärzte wussten die Wirksamkeit von Pflanzen zu schätzen. Die arabische Medizin untersuchte sogar ihre Wirksamkeit evident. Der Arzt, Physiker, Mathematiker und Philosoph Avicinna (Ibn Sina) hat diesbezüglich eine breitgefächerte Literatur mit großem Wissen geliefert. Er hat auch dadurch die Entwicklung der Medizin maßgeblich mitgeprägt. Die Medizin ist vernunftgeleitet und schließt keine Methode aus, die Menschen verhelfen könnte, Schaden abzuwenden und Heilung herbeizuführen.
Einfach zu behaupten, dass Ärzte, die ein komplexes und langjähriges Studium sowie langjährige Ausbildungen unter Anleitung absolvieren mussten, Menschen nicht die geeignete Therapien anbieten – nur weil diese aus Chemie bestehen würden –, ist nicht nur als falsch, sondern auch als gefährlich einzustufen. Diese Behauptungen sind regelhaft mit dieser pauschalen und unscharfen Argumentation behaftet: Interessenkonflikte. Diese Argumentation dient dazu, Reflexionen von vornhinein zu unterbinden. Das führt nicht selten dazu, dass Menschen Pflichtimpfungen für sich und für ihre Kinder verweigern oder vernachlässigen, wichtige Untersuchungen unterlassen und dringliche Therapie verzögern.
Gegen eine natürliche Art zu leben ist nichts einzuwenden. Es bleibt sogar unsere Pflicht, uns und unsere Natur zu beschützen. Ärzte raten ihre Patienten aus Überzeugung zu mehr aktiver Bewegung und Sport für gesunde und natürliche Lebensweisen, um selbstwirksam, präventiv und aktiv gegen Krankheiten zu wirken. Es geht vordergründig um die Lebensqualität.
… Kritisch zu sein, kann sehr hilfreich sein. Verschwörungstheoretisch zu argumentieren und nihilistisch vorzugehen ist dagegen unproduktiv und ineffizient.
Eine langjährige Ausbildung der Ärzteschaft mit erlangter Expertise sollte eher mit Vertrauen honoriert werden. Wenn nur einmal der unermüdliche Einsatz des Medizinpersonals in einer Notaufnahmestation miterlebt wird, wird die Unabdingbarkeit der geprüften schulmedizinischen Behandlungsmethoden besser begreifbar.
Mein Anliegen ist die Wichtigkeit vom Vertrauen in der Arzt-Patienten-Beziehung zu verdeutlichen. Vertrauensbildende Maßnahmen führen zu Therapietreue. Die Therapietreue ist ein unerlässlicher Aspekt für eine optimale Behandlung.
Bleiben Sie gesund!
Safi Hazzan