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Verschwörungstheorien in der Medizin und die Kurierfreiheit

Die Kurierfreiheit und die Verschwörungstheorien

Es wird viel zu viel über die Alternativmedizin gesprochen. Dieser Art Medizin wird von Paramedizinern wie auch von Heilpraktikern beansprucht. Der Streit um die Hoheitsansprüche in der Behandlung zum Wohle von Betroffenen speziell und von Menschen im Allgemeinen ist seit der Antike ununterbrochen. Hippokrates von Kos symbolisierte in seiner Person eine kulturell-geschichtliche Epoche, die ethische Grundsätze im praktischen und ethischen Sinne dokumentiert. Es galt bereits damals das Handwerk von Scharlatanen gegenüber den geschulten Medizinern zu differenzieren. Denn in der Antike waren inakzeptable Zustände, die dem Patientenwohl entgegen standen. Für Eigeninteressen nutzten Pfuscher ihre Position. Das geschah unter dem Vorwand des Heilens. Die Beziehungsart zwischen Leidenden und Therapeuten ist immer asymmetrisch. In der Not können Betroffene bei ausgeprägter Selbstsorge die Verantwortung über ihre eigene Gesundheit dem mächtigeren Helfer übertragen. Für die Wiederherstellung ihres Gesundheitszustandes sind sie bereit vieles zu leisten. Die Situation für eigene Interessen zu nutzen war schon in der Antike von der Gesellschaft als auch von Medizinmännern, z.B. die im Asklepius-Tempel praktizierten, verpönt und moralisch geächtet. Schon damals wurden Ansätze für Therapiestandards dokumentiert. 

 

Schon eine Differenzierung der Medizin in eine Schul- und eine Alternativmedizin ist das Produkt von Verschwörungen. Seit dem Altertum werden methodische Ansätze mit der Wahrheitsbeanspruchung und unbegründete Heilversprechungen am Beispiel des animalischen Magnetismus beschrieben.

Alternativen zur Medizin gab es und gibt es bis heute nicht. Die Medizin hat keine Alternative. Wer heilt hat Recht. Nicht die methodische Differenzierung in der Anwendbarkeit macht den Unterschied. Der Name „Alternativmedizin“ suggeriert eine Alternative zur Medizin, die es ja gar nicht geben kann.

Die Medizin ist in seiner Anwendbarkeit menschenbezogen, menschenzentriert und durch die bedingungslose Bereitschaft zur Empathie charakterisiert. Die Methode, die ein Medizinmann anwendet entscheidet nicht über die Alternativität, sondern über die Anwendbarkeit. Der Selbstzweck der Medizin ist diese Alternative gegen jegliche Formen von Entfremdung, Ausgrenzung, Egoismus und Sorglosigkeit beziehungsweise Unbekümmertheit anderen gegenüber. Diese ist die einzige Alternative, die Medizinmänner und Medizinfrauen einprägsam in ihrer Einstellung und ihrem Verhalten zur Abgrenzung gegenüber Scharlatane- ungeachtet ihres Wissensstand- präsentieren können. Es gibt keine Alternative zur Menschenbezogenheit und die menschliche Zentriertheit in jeder Behandlungsform und in jedem Behandlungsfall.

Der medizinische „Fall“ beschreibt die Individualität ungeachtet welche Methode in der Diagnostik und Therapie zur Anwendung kommt. Der „Fall“ beschreibt zwei Seiten einer Medaille, die technische objektivierbare Seite und die beziehungsorientierte subjektive Seite. In der Medizin geht es nie um die Vereinheitlichung von Objektivität und Subjektivität in der Behandlung eines Menschen, sondern immer um die Balancierung der beide Seiten. In einer Akutsituation, wo dem Behandler keine Alternative außer das Tun bleibt, ist der Betroffene der objektive Part. In der Phase, wo es um die Lebensgeschichte und Lebenswirklichkeit eines leidenden Menschen geht, hat die Subjektivität des „Falles“ seine Priorität. Im Falle des Anspruches eines (jeden) Menschen auf die Mediziner, ist der Mediziner das reale Objekt des Subjekts (der Kranke). Der Arzt hat diesem zu dienen und ihm mit all seinem Wissen und Gewissen beizustehen.

Die Beanspruchung einer Alternative zu dieser Haltung und zu dieser medizinischen Metamethode als Haltung und Handlung kann es nicht geben. Ob mit Pflanzen oder sonstigen Heilmitteln im Sinne des Menschen gearbeitet wird ist vollkommen sekundär. Sekundär ist hier nicht mit banal zu verwechseln. Sekundär bedeutet, dass die Beziehungsebene zwischen Therapeut und Patienten vordergründig ist und über die Therapieeffizienz (Therapieerfolg) entscheidet.

Attribution gehört zu den Urinstinkten der Menschen. Wir wollen gerne Hintergründe und Korrelationen wissen. Attributionstheoretisch wird dieses menschliche Verhalten erklärt. Es wundert nicht, wenn Menschen allgemein und vor allem Wissenschaftler nach dem Sinn und dem Zusammenhang bei jeder Beobachtung suchen. Nicht nur über die Wirksamkeit von Homöopathie wird diskutiert, sondern über unsere Existenz und die Schöpfung. Es ist legitim Forschungen im menschlichen Sinne zu fordern, um Komplexität in dieser komplexen Welt reduzieren zu können. Nicht alles, was erforscht ist, ist wahr. Selbstverständlich wird diese medizinisch angenommene Wahrheit stetig geprüft und vehement diskutiert; so kommen wir der Wahrheit ein Stück näher. Es ist aber nicht nachvollziehbar, nicht bewiesene Annahmen und Theorien als Wahrheit zu beanspruchen. Schon gar nicht darf eine Theorie als indiskutabel wahr bezeichnet werden, so dass Beweise für ihre Wahrhaftigkeit nicht angefordert werden. Ich kann nicht eine Alternative zu einer Methode anbieten ohne dass eine Evidenz, einen Anhalt oder einen Mindeststandard für meine Behauptungen liefern kann. Eine Alternative zur Medizin kann es, wie bereits oben ausführlich diskutiert, nicht geben. Eine Alternative zu einer Behandlungsmethode kann es nur geben, wenn zumindest eine gewisse Tendenz zur schulmedizinischen Orientierung mit Evidenzdokumentation gibt. Die eigene Erfahrung alleine ist nicht immer für ein objektives Urteil, insbesondere über medizinische Behandlungen, geeignet. Ein Laissez-faires-Verhalten mit der voreingenommenen Behauptung, ein Medikament oder eine Therapiemethode als nebenwirkungsfrei zu bezeichnen, ist nicht nachvollziehbar. Es kann sogar den dringenden Verdacht wecken eine wirkungslose Behandlungsmaßnahme zu sein.

Wenn Menschen eine pauschale Priorisierung anstreben, nutzen sie gewöhnlich Verschwörungstheorien. Diese dienen dazu, gesellschaftlich oder von der etablierten Medizin, unzufriedene Menschen gegen das „Etablissement“ zu vereinen und zu mobilisieren. Unzufriedenheit in der Medizin allgemein gab es schon immer und wird es auch in Zukunft noch geben. Nicht die Unzufriedenheit von der angewandten Methodik ist das Dilemma der Schulmedizin, sondern die Praktikabilität einer beziehungsorientierten Handlung in der Medizin, mit Gestaltung einer auf Vertrauen basierende Therapeut-Patient-Beziehung. Die Entwicklung der letzten Jahre ermuntert sehr, sich mehr in diesem wichtigen Part der Zwei-Medaillenseiten zu engagieren.

Auch bei Paramedizinern, Heilpraktikern, medizinischen Fachangestellten und sonstigem Medizinpersonal, ist der unzufriedene Patient Realität. Einige, die Heilpraktiker besuchen, kehren wieder zu ihren Ärzten zurück. Auch die, die mit ihren Physiotherapien etc. nicht zufrieden sind, melden sich beschwerend bei ihren Ärzten.

Nicht alleine die Fachkompetenz entscheidet über den Faktor Unzufriedenheit. Sondern vordergründig die Beziehungsqualität. Die meisten gerichtlichen Klagen gegen Therapeuten bei Kunstfehlern kamen auf Grund der gestörten Arzt-Patient-Beziehung zustande.

Dr. Mabuse des Schriftstellers Norbert Jacques, der Contergan-Skandal und der Skandal um die Todesfälle unter einer vermeintlichen Anti-Krebs-Behandlung durch einen Heilpraktiker, zeugen auf eine Sorgfaltsverletzung und Verantwortungslosigkeit hin, die nicht auf eine Gruppe pauschalisiert werden kann. In der moralischen Pflicht des Einzelnen dürfte nur verankert sein, was Menschen helfen kann anzuwenden, präventive Wirksamkeit zu zeigen und Schaden von Menschen abzuwenden und zu vermeiden.

Zu einer medizinischen Hilfestellung gehört die technisch objektive Seite der Medaille mit evidenzbasierter Medizin, die durch stichhaltige Überprüfung ihre Effizienz fordert.

Heilpraktiker sind keine Ärzte. Nicht alleine deswegen können sie keine Alternative bilden, sondern weil alle Behandlungsformen eine gemeinsame Alternative gegen den Unfug bilden. Genau wie die anderen – nicht ärztliches Medizinpersonal – kann diese Berufsgruppe keine Alternative zum Arzt-sein bilden. Sie erwerben ihre Kenntnisse und Erfahrungen durch eigen dafür existierende Lehrgänge und Selbststudien. Sie haben aber keine ausreichenden allgemeinmedizinischen Kenntnisse, um den Ärzten Alternativen zu stellen.

Nicht das Abschaffen des Berufs der Heilpraktiker sollte gefordert werden, sondern standardisierte allgemeingültige Lehrgänge. Zweitens ist eine kritische wissenschaftliche Beurteilung von Wirksamkeit, Nebenwirkung, Placebo- und Nocebo-Effekten der dort vorgeschlagenen Anwendungen zu fordern.

Nicht Verbote, sondern die kritische Auseinandersetzung mit der Thematik ist hilfreich um zu einem menschenzentrierten Konsens zu kommen.

Von der ärztlichen Seite wird eine intensivierte, auf dem einzelnen Arzt bezogene Selbstreflexion des eigenen Handelns mit objektiver Beurteilung der eigenen Beziehungsfähigkeit allgemein und auf dem Einzelfall bezogen. Das Ziel dabei bleibt das eigene Ur-Motiv zum Arzt werden immer wieder neu zu entdecken und die Motivation und Willenskraft zur Umsetzung dieser edlen Motive zu beleben.

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