Nach einer weltweit blühenden Ära der tendenziellen Abschaffung von Systemen mit Diktaturen zeigt die zweite Hälfte dieses Jahrzehnts eine reaktionäre Reaktivierung eines zuvor verächtlichen Herrscherverhaltens. Das Herrscherverhalten bewegt zunehmend auch junge Menschen, die nichts anders gelernt haben außer sich in Demokratien frei entfalten und entdecken zu können. Ausgerechnet diese v.a. junge Menschen haben nichts anders gelernt und erlebt als ihre freie Meinung uneingeschränkt und ohne Angst dafür bestrafft zu werden zu äußern. Sie haben Dank des freien gesellschaftlichen Liberalismus und der toleranten Lebensart ihren Wohlstand sichern können. Sie haben es viel leichter als frühere Generationen ihre eigenen weitgesteckten Ziele und Visionen zu entwickeln. Diese neue Generation hat bessere Chancen ihre Persönlichkeit motivbezogen zu entwickeln. Sie reisen uneingeschränkt um die Welt und können mit anderen Menschen auch durch die neuen sozialen Netzwerke leichter und schneller kommunizieren. Sie haben einen besseren Zugang zu Informationen.
Wie schaffen es narzisstisch strukturierte machtgierige Menschentypen die Masse und v.a. diese jungen Menschen für sich zu gewinnen? Wie schaffen sie, dass die Masse sie vergöttert? Wie erreichen sie ihr Ziel, dass der Mensch gegen eigene Interessen mobilisiert wird? Wie erreichen sie ihr Ziel, den freien Menschen zur gehorsamen Gefolgschaft umzuwandeln?
Das sind Fragen, die Philosophen, Psychologen, Historikern und Politologen seit Jahrhunderten beschäftigen. Das sind die Fragen, die sich jeder von uns fassungslos- auch wenn nicht selten zu spät- stellt.
Massenpsychologisch gibt es genügend Erklärungen, wie Menschen in der Anonymität der Menge geschützt, irrationale Entscheidungen treffen können. Unabhängig der theoretischen Grundlage der Massenpsychologie ist das Individuum selbst für sein Handeln verantwortlich. Ob die Masse als Gruppe den Einzelnen im Sinne der Ansteckungstheorie beeinflussen kann oder ob der Einzelne im Sinne der Annäherungstheorie durch eigene Einstellungen, Werte und Ansichten zur Massenmeinung beitragen und somit die Massenansichten modifizieren kann, ist nicht entscheidend.
Entscheidend ist die Einstellungsentwicklung des Einzelnen unabhängig der Beeinflussungsrichtung. Die aus der Erfahrung kommende Bereitschaft des Einzelnen, auf eine bestimmte Situation, eine Gruppe von Menschen, eine bestimmte Person oder eine Vorstellung wertend zu reagieren ist maßgebend für eine demokratisch legitimierte Wahl eines u.a. zukünftigen Despoten, der die Macht an sich reißt und die Freiheit ausgerechnet bei seinen Wählern einschränkt.
Wie kommen Menschen dazu, sich mit solchen autoritären Persönlichkeiten zu identifizieren? Wie kann sich die Kurzsichtigkeit von Menschen bei eindeutig zu antizipierender oder bereits spürbarer Verhaltensweise des zukünftigen machtgierigen und am Endeffekt skrupellosen Führertypus entwickeln?
Die Suche nach der eigenen individuell bezogenen Glückseligkeit zum Lustgewinn und zur Unlustvermeidung lässt Menschen alle Eventualitäten ausblenden und in einer Hoffnungshaltung verharren. Diese Hoffnung lässt die zukünftige Entwicklung scheinbar positiv erscheinen.
Anders als bei Ernährungs- oder Tabakkonsumverhaltensweisen hat die politische Einstellung mit ihren kognitiven, emotionalen und Verhaltensausprägungen weiterreichende Dimensionen. Dieses politische Verhalten schädigt nicht nur die eigene Person, sondern primär auch andere Menschen und sogar nahestehende Personen.
Menschen, die so eine Wahl treffen, entscheiden sich für eine Veränderung ihrer eigenen und fremden Lebensgestaltung und beeinflussen automatisch auch die eigene Persönlichkeitsentfaltung. Sie entscheiden sich automatisch für eine weitestgehende Fremdbestimmung.
Die Wahl für eine Fremdbestimmung ohne einen eruierbaren materiellen Eigennutz geht mit einer für die Person überzeugenden schwer umstellbaren Hoffnung einher. Diese Hoffnung von einer fürsorglichen Fremdbestimmung nach dem Mutter-Kind-Prinzip lässt genügend Raum für die vermeintlich ersehnte Glücksseligkeit. Ausgerechnet diese mit der getroffenen Wahl antizipierte Glücksseligkeit ist die Unglücksursache für politische Geschehnisse in diesem Jahrzehnt. Die mit dieser vermeintlichen Glücksseligkeit einhergehenden Tugenden und Attitüde zwingen zu einem unflexiblen Meinungsbildungsverhalten und zum unermüdlichen Beharren.
Nicht das Zugehörigkeitsprinzip oder die formelle Identifikation mit einer Gruppe ist zu kritisieren. Die menschliche Kultur ist mit dem Zugehörigkeitsprinzip verwurzelt. Die Fortschritte, die die Menschheit erreichen kann, sind v.a. unseren Fähigkeiten Beziehungen zu gestalten, zu pflegen und uns danach zu orientieren zu zuschreiben. Die zwischenmenschliche Beziehung ist der stärkste Trieb in uns Menschen, so dass das Vaterlandprinzip als die Verkörperung der Beziehungsidentität verstanden werden muss.
Um unsere Kultur zu pflegen und zur Glücksseligkeit zu führen sind wir alle verpflichtet die Unlust als etwas Unangenehmes zu erkennen und weitsichtig präventiv dagegen zu agieren.
So wie unter den Glücksseligkeiten finden sich auch unter den unlustigen Lebensgegebenheiten verschiedene Abstufungen. Es kann nicht zweckmäßig sein, negativ wirkende Gegebenheiten, die als Benachteiligung wahrgenommen werden, mit noch mehr schmerzlichen Gegebenheiten auszutauschen und zu vermehren. Auch negative Gegebenheiten sind individuell bezogene Wahrnehmungen und kaum zu verallgemeinern.
Dinge im Leben zu verändern, kann nur so gesteuert werden, dass echte Glücksseligkeiten erreicht werden. Echte Glücksseligkeiten zu erkennen erfordert eine Kultur der Selbstachtsamkeit, der Selbstreflexivität, der Selbst- und der Fremdempathie. Diese Eigenschaften sind menschliche Dispositionen mit einem starken Entwicklungspotential.
– Dipl. med. ; M.A. Safi Hazzan, Neurologe, Arbeits- / Organisationspsychologe